Hertha Saisonrückblick 2011 / 2012
Berlin - Lucien Favre 1, Friedhelm Funkel 0, Markus Babbel 2, Michael Skibbe 0, Otto Rehhagel 2. Diese Zahlen zeigen das ganze Dilemma der Berliner Hertha auf: Ganze fünf Spiele konnten die Hauptstädter in den beiden Bundesliga-Spielzeiten 2009/10 und 2011/12 im heimischen Olympiastadion gewinnen - fünf von 34! Fünf Trainer waren nicht in der Lage, der Mannschaft diesen Heimkomplex auszutreiben.
Wie in der Saison 2009/10, als die Berliner mit gerade mal neun Punkten abgeschlagenes Schlusslicht der Heimtabelle waren, folgte auch in der gerade zu Ende gegangen Spielzeit der Sturz in die Zweitklassigkeit. Da half auch nicht, dass sich die Berliner in der Auswärtstabelle auf dem guten Mittelfeldrang zehn wiederfinden. Vor zwei Jahren, als die Berliner in der Europa League dabei waren und man an der Spree von einer Etablierung in der Spitze der Bundesliga und der Champions-League-Teilnahme fabulierte, riss der direkte Abstieg als abgeschlagener Tabellen-18. Fans, Verantwortliche und Spieler aus allen Träumen.
Rehhagel soll's richten
Als erklärtes Ziel nach dem sofortigen Wiederaufstieg im Vorjahr wurde realistischerweise der Klassenerhalt ausgegeben - auch wenn einige Unverbesserliche nach dem guten Saisonstart schon wieder in höheren Sphären schwebten. Eine "Mentalität", die Aufstiegs-Coach Babbel scharf kritisierte und sich damit wenig Freunde in der Millionen-Metropole machte. Die "Alte Dame" überwinterte auf Platz zehn. Trotzdem trennte sich der Club von Babbel, da dieser dem Verein mitteilte, seinen im Juni 2012 auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen.
Das Chaos nahm seinen Lauf. Der vom türkischen Süperligisten Eskisehirspor frei gekaufte Michael Skibbe musste nach nur fünf Partien bereits wieder gehen - nach fünf Niederlagen zum Rückrundenauftakt. Als Nachfolger präsentierten die Berliner einen Coup, der ganz Fußball-Deutschland überraschte: Otto Rehhagel übernahm das Kommando auf der Berliner Brücke. Der 73-Jährige, der Griechenland 2004 zum EM-Titel geführt und auch mit dem 1. FC Kaiserslautern Fußball-Geschichte geschrieben hatte, als er 1998 erstmals in der Bundesliga-Historie einen Aufsteiger direkt zum Titel führte, sollte retten, was noch zu retten war.
Guter Einstand gegen Ex-Club
Der Plan schien aufzugehen. Rehhagel feierte bei seinem Heim-Debüt ein 1:0 über "seine" Bremer. Vierzehn Jahre hatte "König Otto" an der Weser sein Zepter geschwungen und Werder zum Triumph im Europapokal der Pokalsieger sowie zwei Deutschen Meisterschaften und DFB-Pokalsiegen geführt. Doch die Fans, die ihrer Hertha die Treue hielten, was ein Zuschauerschnitt von über 50.000 eindrucksvoll beweist, hatten weiterhin nicht viel Freude an ihrer Mannschaft. Im eigenen Stadion wurden mehrere Satzbälle zum Klassenerhalt vergeben. Selbst gegen seinen als Absteiger festehenden Ex-Club Kaiserslautern setzte es trotz einer 1:0-Führung eine 1:2-Heimpleite.
Dabei hatte Rehhagel das Pech, dass zeitweise fünf gelernte innenverteidiger wegen Verletzungen und Sperren nicht zur Verfügung standen. Das konnte aus dem Kader heraus nicht kompensiert werden. "So etwas habe ich in meiner gesamtem Karriere noch nicht erlebt", haderte der älteste Trainer der Liga mit dem Schicksal. Da aber auch die Konkurrenz im Abstiegskampf nur mäßig erfolgreich war, stellten sich die Durchhalteparolen des erfahrenen Trainers als mehr als Zweckoptimismus heraus. Am letzten Spieltag der Saison gelang den Berlinern der Sprung vom direkten Abstiegsrang 17 auf Relegationsplatz 16 - ausgerechnet mit einem der so seltenen Heimerfolge.
Sieg über Ex-Coach am 34. Spieltag
Mit einem 3:1 wurden ausgerechnet Babbel und sein neuer Verein 1899 Hoffenheim heimgeschickt. Der 39-Jährige hatte zuvor angekündigt, keine Gnade mit seinem Ex-Club zu kennen und die Berliner in die 2. Bundesliga befördern zu wollen.
Außerdem hatte Babbel mit der Aussage "Mit mir wäre Hertha nicht abgestiegen" für einen weiteren Motivationsschub bei seinen Ex-Spielern gesorgt. Ob er dieses vollmundige Versprechen hätte halten können, ist nicht zu beweisen. Fakt ist, dass schon unter Babbel der Trend Richtung Tabellenende sichtbar wurde. Aus den letzten sechs Spielen vor der Winterpause konnte die Mannschaft keinen Dreier mehr holen. Trotzdem überwinterten die Berliner mit 20 Punkten auf Rang elf.
Herha-Protest abgeschmettert
Am Ende einer Horror-Rückrunde hatten es die schon abgeschriebenen Berliner urplötzlich doch noch einmal in eigener Hand, in der "Verlängerung" die Klasse zu halten - in zwei Duellen mit dem Zweitliga-Dritten Fortuna Düsseldorf. Sinnbildlich für den Heim-Komplex verloren die Berliner das Hinspiel im Olympiastadion vor über 60.000 Zuschauern mit 1:2 - wieder einmal wurde eine Führung verspielt. Das Rückspiel spiegelte dann noch einmal das ganze Chaos der Spielzeit wider. Am Ende einer turbulenten Schlussphase mit drei Spielunterbrechungen hieß es 2:2.
Doch die Entscheidung über Auf- und Abstieg sollte nicht auf sportlichem Weg fallen. Die Club-Verantwortlichen klammerten sich an einen letzten Strohhalm, legten Protest ein und forderten eine Wiederholung des Spiels. Der wurde vom DFB-Sportgericht in erster Instanz ebenso abgeschmettert wie die Berufung. Nach einer der längsten Spielzeiten der Bundesliga-Geschichte mit 36 Spielen sowie knapp zwei Wochen Nachspiel vor Gericht ist Berlin ist nach nur einem Jahr wieder die einzige europäische Hauptstadt ohne einen Verein in der höchsten Spielklasse.
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